Procreate Dreams: iPad als Trickfilmstudio

Die App für iPadOS unterstütze mehrere Spuren und kann so Zeichentrickfilme etwa mit Video- und Audiospuren kombinieren. Wir haben uns den Neuling angeschaut.

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(Bild: Procreate, Animation von Nikolai Lockertsen)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Das altgediente Procreate zählt bei iPad-Künstlern schon lange mit zu den beliebtesten Zeichen-Apps. Auf dessen Basis bietet der Hersteller nun mit Procreate Dreams eine Animations-App an, die weit über die simplen Frame-by-Frame-Animationen des Vorbilds gehen.

In Dreams gibt es eine Zeitleiste mit Spuren, auf die man Zeichnungen, Textobjekte, Audioschnipsel oder Bilder beliebig verteilen und kombinieren kann. Abhängig vom iPad-Modell lassen sich dabei bis zu 200 Spuren unterbringen. Das potenteste Apple-Tablet meistert zudem vier Video-Spuren mit 4K-ProRes-Material.

Die Timeline zoomt man frei per Zwick- und Spreizgesten, was auch bei vielen Spuren erstaunlich flüssig vonstattengeht. Dreifingergesten skalieren die dargestellte Höhe der Spuren oder ändern die Bereite der Timeline und somit den sichtbaren Zeitbereich. Praktisch: der Ausschnitt auf dem Display bestimmt auch gleich den Loop-Bereich für die Wiedergabe. Bei besonders kleiner Darstellung sieht man die Clips auf den Spuren als einfarbige Striche, welche bei Vergrößerung eine Vorschau des Inhalts preisgeben.

Über die Zeitleiste von Procreate Dreams gelangt man schnell zur gewünschten Stelle im Film.

(Bild: Procreate, Animation von Seoro Oh)

Statt der üblichen starren Abspielmarkierung haben sich die Entwickler den frei verschiebbaren Playhead ausgedacht. Mit ihm bestimmt man die Abspielposition und zugleich auch die aktive Spur. So weiß man immer genau, was man gerade bearbeitet. Antippen öffnet ein Aktionsmenü, um etwa einen Videoclip an Ort und Stelle zu zerteilen.

Mit dem Playhead fügt man außerdem Keyframes ein, um darüber etwa ein Objekt per Start- und Endpunkt zu bewegen. Clips lassen sich auch beliebig verzerren oder mit animierten Filtereffekten wie Deckkraft, Weich- und Scharfzeichner, Rauschen sowie HSB-Farbverschiebung versehen. Zoomt man nah genug heran, erscheinen die Keyframes als kleine Symbole unterhalb der Spur. Sie lassen sich beliebig verschieben und in allen Parametern wie Position oder Drehung numerisch bearbeiten.

Deutlich zeitsparender erstellt man Keyframes jedoch mit dem Aufnahme-Button. Ist er aktiv, verschiebt und skaliert man seine Objekte einfach live zum abspielenden Film mit dem Pencil. Auch Effekte wie die Stärke des Weichzeichners nimmt die App so in Echtzeit auf. Die Funktion erzeugt die nötigen Keyframes automatisch. Man darf sie wie gewohnt bearbeiten.

Die Parameter der Keyframes von Procreate Dreams kann man bis ins letzte Detail bearbeiten.

(Bild: Wolfgang Kreutz)

Um bei größeren Projekten den Überblick zu behalten, lassen sich Clips mit Namen und einer Farbe versehen. Mit dem Auswahlwerkzeug wählt man per Pencil mehrere Clips aus, um sie etwa zu gruppieren – sogar mehrfach verschachtelt. Dann lässt sich auch alles gemeinsam in der Timeline verschieben. Klappt man Gruppen auf, erscheinen die Inhalte auf einer zusätzlichen Spur – und man kann sie dort direkt bearbeiten.

Die Kernfunktion für Trickfilme ähnelt der in Procreate. Der große Unterschied ist jedoch die Möglichkeit, beliebig viele Frame-by-Frame-Animationen in den Spuren zu verteilen. So erstellt man leicht unabhängige Szenen oder kombiniert verschiedene gezeichnete Animationen miteinander. Dank der Keyframe-Funktionen flattert etwa ein aus wenigen Einzelbildern erzeugter Schmetterling fröhlich durch die Szenerie.

Eine konfigurierbare Zwiebelschicht-Darstellung erleichtert das Malen der einzelnen Animationsschritte, indem vorherige und/oder folgende Einzelbilder transparent und auf Wunsch eingefärbt den aktuellen Frame überlagern. Bildebenen helfen, um etwa Strichzeichnungen nachträglich zu kolorieren. In der getesteten Version vermissten wir jedoch die Möglichkeit, diese umsortieren zu können. Auch Mischmodi wie „Multiplizieren“ oder „Linear Nachbelichten“ sind an Bord.

Dank Daumenkino, Ebenen und Zwiebelschichten eignet sich Procreate Dreams gut für Cel-Animationen.

(Bild: Wolfgang Kreutz)

Die Software verwendet dieselbe Mal-Engine wie Procreate. Neben der umfangreichen mitgelieferten Werkzeugauswahl lassen sich auch gekaufte Brushsets importieren. Um sie zu bearbeiten oder neue Pinsel zu erstellen, benötigt man jedoch Procreate. Besonderheiten wie Auswahlrahmen und Bildbearbeitungsfunktionen fehlen der jungen Dreams-App bislang. Allerdings lassen sich auch Procreate-Dateien in Dreams platzieren – inklusive Animationen.

Da man beim Zeichnen stets die Inhalte aller Spuren sieht (sofern nicht ausgeblendet), eignet sich die Software auch perfekt, um vorhandene Realfilme mit Zeichentrick-Animationen zu erweitern. Minimiert man im Malmodus die Timeline, vergrößert dies die Arbeitsfläche. Die Navigation durch Zeit erfolgt dann über eine kompakte Daumenkino-Palette, die auch zum Erstellen neuer Frames dient.

Da die Leinwand nicht auf das gewählte Videoformat begrenzt ist, darf man Objekte und Zeichnungen auch außerhalb platzieren. So kann man sie leicht ins Bild fliegen lassen.

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Die aufgeräumte Bedienoberfläche von Procreate Dreams kommt mit wenig Buttons aus und setzt noch stärker auf Gesten als die Schwester-App Procreate. Wer diese nicht kennt, muss sich etwas einfuchsen und die englische Dokumentation der ansonsten auf Deutsch lokalisierten App studieren. Beispielsweise erreicht man Undo/Redo nur per Zwei- respektive Dreifinger-Tipp – eine Schaltfläche fehlt. Wie man zu den Einstellungen gelangt, ist ebenso nicht intuitiv ersichtlich. Hierzu gilt es, auf den Dokumentnamen zu tippen. Ähnlich verhält es sich mit der Zwiebelschicht-Einstellung, für die man auf den Timer tippen muss.

Insgesamt hinterlässt die App einen flotten Eindruck – alles geschieht in Echtzeit. Man sollte aber ein recht aktuelles iPad mit viel RAM besitzen. Unser betagtes 2017er-iPad Pro 10,5″ mit A10X-Chip kam nämlich selbst bei recht einfachen Dokumenten gelegentlich ins Schwitzen. Es gab dann Hänger und sogar Abstürze – einen Dateiverlust erlitten wir dabei jedoch nicht. Selbst ein direkt vor dem Absturz gemalter Strich blieb erhalten. Besser schlug sich bereits das ebenfalls nicht mehr taufrische iPad Pro 11″ von 2018 mit A12X-Chip. Auf beiden Geräten störte uns jedoch, dass ein App-Wechsel etwa in die Dokumentation recht schnell das geöffnete Dokument schloss. Das dürfte dem recht knapp bemessenen RAM von jeweils 4 GByte geschuldet sein. Hier half nur, Safari im Split-Screen-Modus neben Procreate Dreams zu stellen oder Slide-Over zu nutzen.

Die Einstellungen von Procreate Dreams erreicht man etwas versteckt über den Dokumentnamen.

Procreate Dreams ist kein universeller Video-Editor, sondern richtet sich eher an begabte Zeichner. Die App bietet bereits in der ersten Version die wichtigsten Funktionen, um auch aufwendigere Trick-Animationen umzusetzen. Zwar erschließt sich das Interface nicht auf Anhieb, aber einmal erlernt, kommt man recht flott voran. Der faire Preis und der Verzicht auf Abos machen die App auch für Amateure und Einsteiger interessant.

Hersteller: Savage Interactive // Systemanforderung: iPadOS ab 16.3 // Preis: 22,99 € (wre)